Vom Aussterben bedroht. Warum?
1899 war es um den Wachtelkönig (Crex crex) noch bestens bestellt: In behutsam gepflegten Wiesen und Feldern koexistierte der bodenbrütende Vogel als Kulturfolger mit unseren Vorfahren. Der Name „Wachtelkönig“ ist auf die frühere Vorstellungen zurückzuführen, der Wachtelkönig sei auf der Reise der Zugvögel der Anführer der Wachteln.
Innerhalb nur weniger Jahrzehnte sind die Bestände dramatisch zusammengebrochen. Bis heute schiebt man die akute Bedrohung des Vogels fast ausschließlich der heutigen Bewirtschaftung des ländlichen Raumes zu. Dem entsprechend gibt es zahlreiche Bemühungen, die Resthabitate für den Vogel besonders gut zu pflegen und extensive Bewirtschaftungsmethoden abzustimmen, die den Habitatsansprüchen des Vogels bestmöglich gerecht werden.
Wie wir nun herausgefunden haben, droht dem Vogel eine gänzlich andere und weitaus schwieriger einzudämmende Gefahr: ein immer dichter werdendes Straßennetz und die dramatische Zunahme des KFZ-Verkehrs.
Der Wachtelkönig meidet niederfrequenten Lärm
- Noch mehr als die meisten anderen Vögel meidet der Wachtelkönig die Nähe von Straßen: je mehr Verkehrslärm, desto weiter entfernt baut er seine Nester.
- Längst ist erwiesen, dass der Vogel in Gebieten, die mit mehr als 45 dB(A) verlärmt sind, nicht mehr brütet.
- Ebenfalls bekannt ist, dass der Vogel auch bei scheinbar (nach dB(A)-Bewertung) deutlich niedrigerer Verlärmung Brutgebiete aufgibt – die Gründe waren bisher nicht zufriedenstellend geklärt.
- Bis heute ignoriert wurde die bereits seit 1997 bekannte Tatsache, dass der Wachtelkönig für seine Kommunikation einen Frequenzbereich von 0-500Hz nutzt und daher naturgemäß besonders empfindlich auf niederfrequenten Umgebungslärm reagiert, also genau jenen Frequenzbereich, vom Menschen nur schwer bzw. nicht akustisch wahrgenommen werden kann.
Der Wachtelkönig ruft mit tiefem Bass …
Anlässlich der geplanten S 34 Schnellstraße mitten durch den St. Pöltner GÜPL – einem noch intakten Brutgebiet des vom Aussterben bedrohten Wachtelkönigs – haben wir uns die Literatur und Tondokumente des Wachtelkönig-Rufs genauer angesehen und wesentliche Ursachen für die besondere Sensibilität des Wachtelkönigs gegenüber Verkehrslärm herausgefunden:
- Der Wachtelkönig erzeugt mit jedem seiner Balz- und Revierrufe einen tieffrequenten Schall, der sich – ähnlich wie z.B. bei Elephanten oder Krokodilen – über größere Distanzen fast ungedämpft ausbreiten kann.
- Wo unsere Umwelt mit tieffrequentem Lärm vermüllt ist, hat der Vogel keine Möglichkeit, nach Weibchen zu rufen, der Lebensraum ist verloren.
Dass ein Vogel mit einer Länge von gerade einmal 27-30cm Länge und einem Gewicht von 150g einen so satten Basston generieren kann, ist ein wahrhaftes Wunder der Natur.
Es gelingt ihm, wie wir ebenfalls durch das Literaturstudium herausgefunden haben, nur mit ganzem Körpereinsatz, der Schnabel ist nämlich zur Erzeugung dieses niederfrequenten Schallanteils viel zu klein.
Elephant, Krokodil, Delphin … und der wundersame Wachtelkönig beherrschen sie …
Niederfrequente Kommunikation
Die Schalldämfpung in Luft setzt sich zusammen aus einer entfernungsabhängigen Komponente und einer von Witterung und Wellenlänge abhängigen Komponente, der so genannten Luftdämpfung.
Mit seinem tiefen Basston überwindet der Wachtelkönig in einem „akustisch intakten“ Umfeld die räumlichen Ausbreitungsmöglichkeiten von „normalen“ Vogelstimmen: Im Frequenzbereich von 0 bis 500Hz unterliegt die Schallausbreitung nämlich beinahe keiner Luftdämpfung.
Das Resultat: trotz eines scheinbar niedrigen Signalanteils beim Vogel dominieren bereits nach 1km viel niedrigere Frequenzen als direkt beim Rufer.
Wie groß die tatsächliche Rufreichweite des Vogels ist, konnten uns die kontaktierten Ornithologen auch noch nicht sagen – „in Wahrheit weiß man es nicht“. Bisher war man davon ausgegangen, dass der Wachtelkönig im niederfrequenten Bereich schlechter hört als der Mensch und man hat wohl vermutet, die Rufweite könne somit allerhöchstens bei etwa 1km liegen.
Für eine Umgebungstemperatur von 10°C und eine Luftfeuchtigkeit von 70% haben wir die Schallausbreitung in Luft durchgerechnet, nachstehendes Bild zeigt die spektrale Zusammensetzung bei verschiedenen Entfernungen von 1m bis 20km.
Ein unerhörter Ruf gegen das Artensterben?
Geht es in unserem schönen Land nach dem Willen einer einflussreichen Minderheit, dann soll sich das vom Aussterben bedrohte 150g leichte Tier künftig die Seele aus dem Leib schreien: ein geradezu absurd wirkendes Ansinnen – im akustischen Wettstreit gegen täglich 21.200 mit unseren Bleifüßen getretenen tonnenschweren brüllenden Lärmmonstern: Die Voraussetzungen nächst einer von einem solchen Verkehr gefluteten vierspurigen Schnellstraße ist für den Wachtelkönig definitiv hoffnungslos.
Weltrekordverdächtige Ruflautstärke
Wir haben nachgerechnet und festgestellt, dass der Wachtelkönig mit einem Spitzenschalldruckpegel von etwa 125 dB SPL auf 1m Distanz wirklich alles aus seinem kleinen Körper herausquetscht, um nicht auszusterben. Die Ruflautstärke ist damit genauso hoch wie die des etwa 100 Gramm schwereren Einlappenkotingas – dem, wie zuletzt festgestellt wurde, lautesten Vogel der Welt.
Punktschallquelle gegen Linienschallquelle
So laut er auch ruft, der Wachtelkönig erzeugt seinen Ruf von einem bestimmten Punkt aus. Das bedeutet dass die entfernungsabhängige Abnahme des Schalldruckpegels etwa -6dB bei Entfernungsverdoppelung beträgt.
Eine vielbefahrene Straße erzeugt im Gegensatz dazu über ihre Länge verteilten Schall, was dazu führt, dass Straßenlärm nur etwa mit -3dB bei Entfernungsverdoppelung abnimmt.
Spektrale Zusammensetzung von Straßenlärm
Wie die nachstehende Auswertung zeigt, ist Straßenlärm dominiert von tieffrequenten Spektralanteilen mit einem tatsächlich dramatischen Anstieg in Richtung Infraschall.
Mit zunehmender Entfernung – und teils auch mit „lärmmindernden“ Fahrbahnbelägen wird diese Tendenz noch weiter verstärkt.
Nach Einschätzung von Asfinag und Co. soll es trotz der bekannten Verlärmung eines weiten Gebietes ein knapp westlich der S 34 befindliches „dank neuer Straße vom Menschen sicher abgetrenntes Wachtelkönigbrutgebiet“ geben.
Zur Beurteilung der realen Zusammenhänge wurden die Relationen zwischen GÜPL, S 34 und den Siedlungsgebieten in einer quantitativ repräsentativen Modellrechnung samt realer Audiodaten nachbildet. Die nachfolgenden Darstellungen und Tondokumente sind auszugsweise Ergebnisse aus dem vollständigen Gutachten.
Die Tonaufnahmen unterhalb des Bildes beziehen sich auf den Tagesverkehr und auf Isophonen für fliegende Wachtelkönigweibchen, also deutlich über dem Boden.
Die Überlagerung von Wachtelkönig-Lautstärke und der jeweiligen Lärmisophone können Sie direkt mit nachstehenden Audiofiles nachstellen, indem Sie beide Aufzeichnungen gleichzeitig wiedergeben.
Soweit, so gut: Der Vogel ist für unsere Ohren noch bestens zu hören. Nicht enthalten sind allerdings die Lärmisophone bei 100m bzw. direkt an der Straße, s.a. die 100m Isophone in nachstehendem Diagramm. Die Lautstärke der Straße ist an diesen Stellen so hoch, dass ein Wachtelkönigweibchen, das östlich der Straße vorbeifliegt, nicht die geringste Chance hat, den im Westen rufenden Vogel wahrzunehmen.
Wir wiederholen den Lautstärkevergleich nurmehr mit dem niederfrequenten Tonanteil.
Vom niederfreqenten Signal können weder die Weibchen noch wir mit unserem menschlichen Gehör irgend ein Nutzsignal heraushören.
Aus der Literatur ist bekannt, dass Wachtelkönige Entfernungen von etwa 500m zu Nebenstraßen einhalten und Entfernungen von über 1km zu Hauptstraßen; bekannt ist ebenso, dass sich diese Distanzen mit zunehmendem Verkehr entsprechend weiter vergrößern.
Dies korrespondiert mit der Feststellung, dass der Vogel in einem solchen Abstand zur Straße rufen muss, dass er seinen niedrigfrequenten Schallanteil erfolgreich absetzen kann. Dies gelingt ihm beim geringeren Verkehr in den Nachtstunden leichter als tagsüber, was auch realistisch erscheinen lässt, dass ab ca. 1km Entfernung von Hauptstraßen bei hinreichend geringem Verkehrsaufkommen mit entsprechenden Lärmpausen und günstiger Orientierung Richtung der erwarteten Weibchen ein Habitat akustisch praktikabel sein kann.
Sehr aussagekräftig ist auch das Diagramm Zeyl et al., Fig. 1, das zeigt, dass auch bei Vögeln mit einem ausgeprägten Hörvermögen im tieffrequenten Spektrum die Schallempfindlichkeit mit abnehmender Wellenlänge so zunimmt, um nicht mit natürlichen tieffrequenten Schalldruckpegeln der Umwelt belastet zu werden.
Menschen sind gleichermaßen betroffen
Vielleicht mag dem Einen oder der Anderen das Aussterben eines seltsamen Vogels egal sein.
Der Lärm einer zusätzlichen hochrangigen Straße schadet allerdings auch so gut wie allen im Einzugsgebiet lebenden Menschen. Die Umweltzerstörung schreitet weiter voran und die gesamte Region verliert ihre Möglichkeit, sich künftig mit gesunden Lebensmitteln aus der eigenen Region zu versorgen.
Die Straße kommt vor allem wirtschaftlichen Interessen einer verschwindenden Minderheit zugute und sie zersört die Existenzgrundlagen der Kinder.
Die WHO zählt Umgebungslärm inzwischen zu den größten Risiken für die körperliche und geistige Gesundheit und das Wohlbefinden des Menschen:
- Lärm schädigt das Gehör (Hörverlust, Tinnitus)
- Lärm ist ein unspezifischer Stressor sowohl was die psychische als auch die physiologische Belastung anlangt
Insbesondere jener Schall, der außerhalb unseres Hörvermögens liegt, kann unserer Gesundheit schaden. Zulande und in den Weltmeeren sind schwerwiegende negative Einflüsse von Infraschall auf Mensch und Natur inzwischen evident.
Hören Sie nochmals hin, schauen Sie nochmals auf die Karte und die betroffenen Siedlungsgebiete. Die Schädigung unserer Lebensräume mit niederfrequentem Schall schreitet voran. Jeder neue Straßenbau schädigt die körperliche Gesundheit und das Wohlbefinden von Mensch und Tier.
Der zusätzliche Lärm zufolge der ebenfalls im Projekt enthaltenen Spange Wörth fehlt, stattdessen wurde aber ein einheitliches Verkehrsaufkommen entlang der gesamten vereinfachten Streckenführung angenommen.
Der Wachtelkönig als Indikatorvogel und als Warnrufer
Kanarienvögel retteten seit 1730 unzähligen Minenarbeitern als Warnvögel das Leben. Sobald der kommunikationsfreudige Vogel seinen Gesang einstellte, wussten die Bergleute, dass giftiges Gas in der Grube vorhanden ist.
Manche Vogelarten zeigen durch spezifische Verhaltensänderungen den Menschen sich anbahnende Wetterumschwünge an. Insbesondere ist von Goldflügel-Waldsängern bekannt, dass sie einen Sturm bereits Tage vor Eintreffen anhand von Infraschall-Wellen erkennen.
Verschiedene Vogelarten werden in der Agrarlandschaft als Bioindikatoren für landwirtschaftliche Gebiete eingesetzt.
Wie sich nun herausstellt, ist der Wachtelkönig für den Menschen ein wichtiger Indikator, wenn es um die zunehmende niederfrequente Verlärmung unseres Lebensumfeldes geht.
Wenn wir in St. Pölten, Niederösterreich, Österreich und Europa darauf achten, dass wir dem Wachtelkönig Lebensräume bewahren, dann sind das Lebensräume, in denen sich auch der Mensch gedeihlich weiterentwickeln kann.
Wachtelkönig schützen heißt Menschen schützen.
Gerade in St. Pölten haben wir noch alle Möglichkeiten, das Ruder herumzureißen:
- Hören wir auf den Wachtelkönig
- Hören wir auf die Jugend
Für weiterführende Informationen ersuchen wir um Ihre Kontaktaufnahme.
DS, 210210
Zugrundeliegendes Gutachten im Volltext:
Fachgutachten zur Wirkung von Straßenlärm auf die Sprachakustik und das auditive System des Wachtelkönigs