Mobilität als Grundbedürfnis

Obwohl der überwiegende Teil der Menschheit bereits vor 10.000 Jahren sesshaft wurde, sind Mobilität und überregionaler Austausch mit fremden Kulturen über alle Zeiten hinweg ein menschliches Grundbedürfnis geblieben. Seit Jahrtausenden kennen, nutzen und pflegen Menschen Pfade, Wege und Straßen, um über Kontinente hinweg verbunden zu sein.

Bereits viertausend Jahre lang belegt sind Fernreisen zum Handel, zur Erkundung und für Raubzüge sowohl zu Fuß als auch mit Hilfsmitteln wie bereits seit der Jungsteinzeit bekannte Schi samt Tragevorrichtungen, mit Rindern und Pferden sowie mit Ruderbooten. Ab dem 8. Jahrhundert unserer Zeitrechnung standen dem Menschen auch Segelboote zur Verfügung, wodurch in der menschlichen Wahrnehmung bereits die Basis für das heute gängige Konzept einer globalisierten Welt gelegt war.

Die langfristige Fähigkeit des Menschen, weit zu reisen, änderte über tausende Jahre hinweg nicht das Geringste daran, dass der Alltag des sesshaften Menschen stets ein Alltag der kurzen Wege war. Intakte historische Siedlungsräume und Landwirtschaften sind bis heute – egal ob Stadt, Dorf oder Einzelhof auf die fußläufige Bewerkstelligung des Alltags ausgerichtet, und das war gut so.

Selbst zu Beginn des 20. Jahrhunderts waren Siedlungen und Wege menschliche Begegnungsräume, in denen jeder Automobilist als unerwünschter Fremdkörper betrachtet wurde, der sich stets hüten musste, mit seinem lärmenden und stinkenden Gefährt in irgendeinen Konflikt mit der Bevölkerung zu geraten.

Vom Auto verdrängt

Erst eine Straßenverkehrsordnung unter dem Eindruck einer erstarkenden Automobillobby öffnete der sozial diskriminierendsten Mobilitätsform aller Zeiten den Weg in den öffentlichen Raum. Innerhalb weniger Jahrzehnte gelang damit die Zerstörung all dessen, was menschliche Zivilisationen über Jahrtausende hinweg an nachhaltiger Mobilität und praktischer Raumnutzung hervorgebracht hatten.

Weniger als ein einziges Jahrhundert hat es gebraucht, um weltweite Verbundenheit in ein vom Auto- und Flugverkehr dominiertes globales Verkehrsnetz zu transformieren, das uns alle in einem immer schneller rotierenden Hamsterrad gefangen hält. Im Schnitt 25% unseres Lebenseinkommens stecken wir in ein extrem ineffizientes Fortbewegungsmittel, mit dem wir inzwischen Gefahr laufen, regionales Handeln, die Aufenthaltsqualität in den Siedlungsgebieten und ebenso die Lebensgrundlagen von uns allen in Schutt und Alle zu legen.

Und wofür soll das gut sein? Um allerorts am Gaspedal tonnenschwerer Blechkisten auf Rädern unsere an Bewegungsarmut leidenden Körper, Kinder und Alten scheinbar mühelos über jenen öffentlichen Raum schweben zu lassen, der ursprünglich von Leben beseelt war. Um uns tagtäglich möglichst weit von dem Ort entfernen zu können, der eigentlich als Zentrum unseres Lebens bestmögliches Wolbefinden bieten sollte.

Alle verlieren

Übrig bleiben all jene, denen das alltägliche Privileg, ein Auto zu lenken oder chauffiert zu werden, nicht zuteil wird.

Ebenso übrig bleiben all jene, die scheinbar privilegiert de zweitteuerste „Wertanlage“ ihres Lebens lenken. Sie übersehen nämlich dabei, dass neben ihrer eigenen gelegentlichen Automobilfahrt durch Siedlungsgebiete täglich dutzende, hunderte oder gar tausende lärmende Feinstaubschleudern vor der eigenen Haustüre gegenüberstehen, die die Lebensqualität Tag für Tag und rund um die Uhr beeinträchtigen und ihrer Gesundheit schaden.

Menschengerechte Siedlungsräume

Siedlungsstrukturen, in denen gerne gelebt, geliebt und gearbeitet wird, sind Siedlungsstrukturen, in denen ein attraktiver öffentliche Raum wieder von Menschen beseelt statt von Autos besetzt ist.

Zukunftsfitte menschliche Lebensräume sind Orte, an denen die allermeisten Menschen den Alltag aktiv mobil bewerkstelligen. All das schaffen wir ohne jene Weltverbundenheit aufzugeben, die seit tausenden von Jahren das Wesen unseres Menschseins ausmacht.

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