Am 11. und 12. Jänner 2024 wurde vor dem BVwG über Naturschutzmaßnahmen und die Auswirkungen auf die Gesundheit und die öffentliche Sicherheit verhandelt. Das Gericht wollte wissen, ob die Projektwerberin (Land NÖ) in der Lage ist, Mittelspecht und Fledermäuse entlang der Spange Wörth hinreichend zu schützen. Weiters hätte die Projektwerberin nachzuweisen gehabt, dass die Straße der Gesundheit und der öffentlichen Sicherheit dient.

In der Verhandlung konnten seitens der Projektwerberin weder die negativen Einflüsse auf die besonders schützenswerten Tierarten widerlegt, noch die positiven Auswirkungen auf die Gesundheit der Bevölkerung nachgewiesen werden.

Die Entscheidungreife sah der Richtersenat nach einem von der Umweltorganisation Virus eingebrachten lärmtechnischen Gutachten bereits ohne den nachstehend genannten Nachweis der Gefährdung der Gesundheit als gegeben an, weshalb im Rahmen der mündlichen Verhandlung auf insgesamt drei von den Parteien eingebrachte Gutachten nicht näher eingegangen wurde. Auf Grund gegebener Entscheidungsreife hat der Richtersenat das gesamte Ermittlungsverfahren gem. §40 Abs.5 UVP-G 2000 iVm §39 Abs. 3 AVG iVm §17 VwGVG geschlossen.

Angesichts der Wichtigkeit der negativen gesundheitlichen Folgen und der weiterhin drohenden Realisierung der Straßenbauprojekte in St. Pölten haben wir uns zur Veröffentlichung entscheidungsrelevanter Fakten entschlossen.

Für die betroffene Bevölkerung fand eine Informationsveranstaltung am 18. Jänner 2024 statt.

Gefährdung der Gesundheit und des Lebens von Menschen

Geht es nach den Wünschen des Landes Niederösterreichs und nach dem vehementen Drängen der St. Pöltner Stadtregierung, so wird es den angestellten Vergleichsrechnungen zufolge im Prognosejahr 2030 gegenüber dem Status quo („Nullfall“) zu dramatischen Beeinträchtigungen der Gesundheit und der Sicherheit der Stadtbevölkerung kommen:

  • 38% mehr Unfälle und Verkehrstote
  • 35% höhere Schadstoffbelastungen
  • 40% mehr Reifenabrieb
  • jährlich zusätzlich ca. 8 bis 18 Tote durch PM2.5 Feinstaubbelastung
  • ca. 2 zusätzliche Tote / 10 Jahre durch lärmbedingte koronare Herzerkrankung

Alle Berechnungen und Detailinformationen finden sich in nachstehendem Gutachten.

Anhand der von der Projektwerberin selbst für die Projektumsetzung deklarierten Fahrlasten und Schadstoffemissionen wurde also nachgewiesen, dass im Stadtgebiet von St. Pölten

  1. das Risiko von Verkehrsunfällen einschließlich solcher mit Todesfolge nicht sinkt, sondern zunimmt;
  2. die projektbedingte Lärmbelastung substanziell erhöht wird;
  3. die tatsächlich mit Abstand größte projektbedingte Gefährdung der Gesundheit und der öffentlichen Sicherheit in der deutlichen Zunahme von PM2.5‑Feinstaubbelastung besteht;
  4. fremdes Eigentum und die menschliche Gesundheit gefährdet und geschädigt wird durch deutlich zunehmenden Schadstoffaustrag in Form von Reifenabrieb;
  5. die Projektumsetzung zur nachhaltigen Verfehlung der Klimaziele führt.

Die in Punkt 3 angeführten Beeinträchtigungen durch PM2.5-Feinstaubbelastung sind angesichts der ermittelten Sterberaten von zentraler Bedeutung für die Beurteilung der gesundheitlichen Schadwirkung des Projektes. Auf diesen Umstand ist jedoch die PW trotz Aufforderung, die gesundheitlichen Auswirkungen des Projektes darzulegen, überhaupt nicht eingegangen.

Anknüpfend an den im Gutachten dokumentierten Nullfall ist festzuhalten, dass es auch ohne Spange Wörth definitiv andere zufriedenstellende Lösungen gibt, die der Bevölkerung nützen statt ihr zu schaden.

Diese bestehen in der konsequenten Umsetzung der Mission St. Pöltens als klimaneutrale Pionierstadt und demnach u.a.

  • im Ausbau des öffentlichen Mobilitätsangebots;
  • in der gezielten Förderung aktiver Mobilität und eines Alltags der kurzen Wege;
  • in einer direkten schienengebundenen Anbindung von Betriebs- und Gewerbegebieten.

Kinderrechte

Betreffend Gesundheit und öffentlicher Sicherheit ist es erforderlich, der im restlichen Leben am stärksten betroffenen Bevölkerungsgruppe der Kinder und Jugendlichen die ihr verfassungsrechtlich zustehende Beachtung zu schenken:

Lt. EU-Gesetzgebung, dem BVG über die Rechte von Kindern, der durch Österreich ratifizierten UN-Kinderrechtskonvention und dem seit August 2023 als verpflichtendes Auslegungsmaterial vorliegenden General Comment No26 zur UN-Kinderrechtskonvention würde der geplante Straßenbau zu Kinderrechtsverletzungen führen.

Dazu wurde ein Gutachten Kinderrechte & Straßenbau von Dr. Lilly Damm, Christian Zauner und Hofrat Mag. Bernhard Spuller vorgelegt:

Artenschutz

Weiters wurde ein Gutachten von Dr. Holzinger eingebracht, in dem unter anderem nachgewiesen wird, dass

  1. Der Wachtelkönig geschützt werden muss;
  2. ER1_05 – Erhalt von Altholz, Altbaumsicherung nicht als CEF-Maßnahme zu werten ist und diese Maßnahme zudem nur einen Bruchteil der Verluste ausgleicht;
  3. die Lebensraumverluste für den Mittelspecht deutlich höher sind als von der PW dargelegt;
  4. bei den Fledermäusen der artenschutzrechtliche Verbotstatbestand der Tötung realisiert ist;
  5. die vorgelegte Alternativenprüfung mangelhaft und nicht nachvollziehbar ist;
  6. kumulative Wirkungen mit zusammenhängenden geplanten bzw. genehmigten Vorhaben jedenfalls berücksichtigt werden müssen.

Mittelspecht

Weitreichender Habitatsverlust

Die gemeinsame Betrachtung der kumulativen Wirkung von S34 und Spange Wörth beweist, dass entgegen der Behauptungen der Projektwerberin zu weitreichenden Habitatsverlusten für den Mittelspecht kommen wird.

Bild 1: Nachbearbeitetes Bild aus Fachbereich Biologische Vielfalt – Bericht. Entgegen der Behauptungen der Projektwerberin und der Annahmen des Gerichts-SV ist der Habitatsverlust für den Mittelspecht für die gesamte Lokale Mittelspecht-Population weitreichend und dramatisch.

Im Projektgebiet soll im unmittelbaren Auswirkungsbereich der Spange Wörth für Mittelspecht und Fledermäuse bestens geeigneter Wald im Ausmaß von 2,448ha gerodet und in eine Wiese für den Wachtelkönig umgewandelt werden.

Das in nachstehender Bildgalerie gezeigte, zur Rodung vorgesehene Waldstück wurde zum Teil durchforstet und es bildet sich jetzt zu 95% ein Eichenwald ab. Das sind auf dieser Fläche ca. 162 Eichen über 20 Jahre, zum überwiegenden Teil mit einem Durchmesser von über 30cm, und 21 Eichen haben zwischen 48cm und 74cm Durchmesser. Zusätzlich stehendes Totholz 9 Bäume, liegendes Totholz 5 Bäume.

Falsche Lärmkarten

Die Projektwerberin verwendet bei ihrer Bewertung der künftigen Habitatseignung für den Mittelspecht falsche Lärmkarten. Laut Garniel 2010 ist die Tages-Lärmisophone vorgeschrieben, und zwar für eine Immissionshöhe von 10m. Tatsächlich verwendet die Projektwerberin ganz augenscheinlich die Lärmwerte auf 1,5m Höhe, und zwar Lden anstelle der vorgeschriebenen Ltag-Werte.

Bild 2: Bildzitat aus Garniel 2010: Bemessungsgrundlage ist richtigerweise die Lärmisophone tags in einer Immissionshöhe von 10m und nicht, wie von der Projektwerberin offenbar herangezogen, den Mittelwert für Tag/Abend/Nacht in 1,5m Höhe.
Bild 3: Bildzitat (Abbildung 3) aus Fachliche Stellungnahme CEF-Maßnahmen Beilage.1

RVS-konforme Lärmkarten

Kirisitz untersuchte 2021 im Auftrag des BMK die Auswirkungen der geänderten Rechenvorschrift zur Ermittlung des Verkehrslärms und stellte fest, dass die verordneten Lärmgrenzwerte nun zu einer abweichenden rechtlichen Beurteilung der Schädlichkeit des Verkehrslärms führt. Dies gilt für Menschen wie auch im Artenschutz.

Folgende Karten zeigen die Gegenüberstellungen ausgewählter Lärmbelastungen nach RVS 04.01.11 2009 gegenüber RVS 04.02.11 2021.

Bildreihe 1: Lden VWA1 2023 – Unterschied zwischen überholter RVS 04.02.11 2009 und heute maßgeblicher RVS 04.02.11 2021

Obige Animation zeigt, dass aufgrund der mittlerweile anzuwendenden RVS 04.02.11 2021 die Lärmbelastung im Projektgebiet deutlich höher liegt, als von der Projektwerberin nach der alten RVS 04.02.11 2009 im bisherigen Verfahrensverlauf ausgewiesen.

Bildreihe 2: Lnight VWA1 2023 – Unterschied zwischen überholter RVS 04.02.11 2009 und heute maßgeblicher RVS 04.02.11 2021

Bildreihe 3: Lnight EAB 2030 – Unterschied zwischen überholter RVS 04.02.11 2009 und heute maßgeblicher RVS 04.02.11 2021

Wachtelkönig

Der Wachtelkönig kommt im Auswirkungsbereich des Projektgebiet vor, wie nicht zuletzt anhand einer von den Beschwerdeführern eingebrachten eidesstattlichen Erklärung belegt ist. Somit ist auch der Wachtelkönig von den genannten Voraussetzungen für eine Ausnahmebewilligung ebenso umfasst. Auf diesen ist die PW jedoch weder im bisherigen Verfahrensverlauf noch in ihren nunmehrigen Ausführungen eingegangen.
Es ist gemäß der im Verfahrensverlauf eingebrachten Nachweise davon auszugehen, dass der von der PW gänzlich unberücksichtigt gebliebene Wachtelkönig durch den Bau der Spange Wörth seinen Lebensraum vollständig verlieren würde, sodass die PW die entsprechenden artenschutzrechtlichen Auflagen des Gerichts jedenfalls nicht erfüllt.

Zitat aus Frühauf 2019: Totaler Habitatsverlust ab 45dB(A) (nachts)

Folgende Animation beweist, dass die Wachtelkönig Ausgleichsfläche laut neuer RVS 04.02.11 2021 in einem nahezu zur Gänze im 45-50dB(A) verlärmten Bereich liegt. Das bedeutet, dass eine Habitatseignung gänzlich auszuschließen ist.

Bildreihe 4: Totaler Habitatsverlust auf Wachtelkönig-Ausgleichsfläche spätestens mit Endausbau 2030.